Herausforderungen & Chancen maximaler Beteiligung im Mittelvergabeprozess mit Lisa Wiedemuth und Christine Noel von der Quartiermeister Stiftung.
Seit mittlerweile 14 Jahren verteilt das Sozialunternehmen bzw. die Biermarke Quartiermeister seine unternehmerischen Erlöse an soziale Projekte, die sich für gesellschaftliche Teilhabe einsetzen. Die Vision: Eine Wirtschaft zum Wohle aller zu etablieren. Das Besondere: Alle dürfen sich auf die Fördermittel bewerben bzw. mitentscheiden, wer vor Ort davon profitiert. Dieser offene Beteiligungsprozess wurde in den letzten Jahren durch den Bau der Quartiermeister Stiftung gUG professionalisiert, mit weiteren Unternehmens- und Privatspenden gestützt und seit diesem Jahr durch einen korrigierenden Beirat aus Aktivist*innen ergänzt.
Demokratische Förderung im Fokus
Das Frühstück bot einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise und Vision von Quartiermeister als fördernde Organisation. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie gesellschaftliche Teilhabe durch offene Mittelvergabe gestärkt werden kann und welche Chancen sowie Herausforderungen mit diesem Ansatz einhergehen. Dabei wurde deutlich, dass Quartiermeister gezielt kleine und lokal wirksame Projekte unterstützt, die Treffpunkte schaffen, an denen Demokratie gelernt und gelebt werden kann. Diese Orte sind zunehmend gefährdet, da unsere Gesellschaft stärker individualisiert und kommerzialisiert ist. Die Förderung folgt bewusst einem einfachen und bedarfsgerechten Ansatz, um Hürden niedrig zu halten.
Partizipation als Schlüsselprinzip
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Regionalität: Gefördert wird dort, wo das Bier konsumiert wird, was eher in großen Städten der Fall ist. Deswegen gibt es mittlerweile einen Transfer der Mittel, damit auch ländliche Regionen stärker einbezogen werden. Der Prozess ist flexibel gestaltet, sodass auch Träger ohne Gemeinnützigkeitsstatus Anträge stellen können. Besonders bemerkenswert ist die partizipative Entscheidungsfindung: Basierend auf offenen Ausschreibungen, werden die Anträge durch die Vereinsmitglieder für das Onlinevoting ausgewählt. Im öffentlichen Onlinevoting kann für die vorausgewählten Projekte abgestimmt werden. Das ermöglicht eine breite Mitbestimmung, wer von den Erlösen profitiert. Dabei wird nicht nur das Projekt, sondern vor allem die dahinterstehenden Personen gefördert. Um den Verwaltungsaufwand gering zu halten, sind die Anträge kurzgehalten und gibt es keine Dokumentationspflicht für die Geförderten. Ziel ist es, Strukturen zu stärken, und zwar nicht nur durch finanzielle Mittel, sondern auch durch Vernetzung, Expertise aus dem Verein und die Vermittlung an Stiftungspartner oder Medien.
Potenziale und Grenzen offener Mittelvergabe
Die offene Mittelvergabe bringt zahlreiche Chancen mit sich. Sie stärkt die Selbstwirksamkeit der Beteiligten und fördert demokratische Kompetenzen durch Aushandlungsprozesse. Gleichzeitig bietet sie Raum für Innovationen und macht Vielfalt sichtbar, indem unterschiedlichste Lösungsansätze gefördert werden. Der Fokus auf transparente und einfache Prozesse sorgt dafür, dass sich die Projekte auf das Wesentliche konzentrieren können.
Dennoch gibt es Herausforderungen. Die partizipative Entscheidungsfindung spiegelt den gesellschaftlichen Diskurs wider, birgt jedoch die Gefahr, dass vor allem Trendthemen gefördert werden. Deshalb ist es wichtig, Korrektive zu schaffen, um auch weniger beachtete Themen zu fördern. Hierfür wurde ein Beirat eingerichtet, der auf Grundlage einer umfassenden Umfrage unter Antragsteller*innen und Geförderten Lösungen erarbeitet. Eine weitere zentrale Hürde für die Stiftung ist die Ressourcenknappheit: Es fehlen Mittel für eine gesicherte hauptamtliche Koordination, für nachhaltige Fördersummen und für eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Zudem strebt Quartiermeister eine Entkopplung von der Abhängigkeit des Produkts Bier an, um die Förderung langfristig stabiler zu gestalten, da die Assoziation mögliche Kooperationen ausschließen könnte.
Die Herausforderung: Kooperationen
Ein zentraler Teil der Diskussion widmete sich bestehenden und künftigen Kooperationen. Quartiermeister verfügt über eine Vielzahl erprobter Ressourcen, wie einen digitalisierten Auswahlprozess, eine umfangreiche Projektdatenbank und ein Engagement-Netzwerk von über 100 ehrenamtlichen young professionals. Dennoch ist der Aufwand für Kooperationen häufig hoch, was insbesondere durch die fehlende hauptamtliche Koordination erschwert wird. Ziel ist es, zukünftige Kooperationen weniger kleinteilig zu gestalten und bestehende Ressourcen besser zu nutzen. Dazu gehören unter anderem die Aufstockung von bestehenden Quartiertöpfen und Begleitprogrammen sowie die Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit.
Hier baten Lisa und Christine nach Input aus der Gruppe, um offene Fragen der Quartiermeister Stiftung rund um die partizipativen Strukturen und die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern zu klären. Von den Teilnehmenden wurden insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Stiftungen Herausforderungen identifiziert, da der Aushandlungsprozess der Kooperationsbedingungen von den Stiftungen oft als zu hoch empfunden wird. Es wurde angeregt, dass die Quartiermeister Stiftung die Prozesse stärker strukturiere und konkrete Angebote formuliere, um die Zusammenarbeit für ihre Partner effizienter zu gestalten. Gleichzeitig wurde die Bedeutung der Partizipation als eigenständiger Wert hervorgehoben, der gesellschaftliche Teilhabe sichtbar macht und auch für größere Stiftungen interessant sein könnte.
Für die Weiterentwicklung wurde die Notwendigkeit betont, Ressourcen für eine hauptamtliche Koordination zu sichern und die Wirkung der Förderung systematisch zu erfassen. Zudem wurde angeregt, Quartiermeister selbst stärker zu fördern, um den Overhead abzudecken und die langfristige Weiterentwicklung des partizipativen Ansatzes sicherzustellen.
Abschließend zeigte die Veranstaltung, dass Quartiermeister mit seiner partizipativen und offenen Mittelvergabe ein wichtiges Modell für gesellschaftliche Teilhabe und nachhaltige Förderung bietet. Gleichzeitig ist es entscheidend, die bestehenden Herausforderungen durch stärkere Ressourcen, strategische Kooperationen und eine langfristige Entkopplung von wirtschaftlichen Schwankungen anzugehen, um die Vision von Quartiermeister weiter voranzutreiben.
Veranstaltungshinweise:
5. Dezember 2024: „Gemeinsam Kraft tanken“ – Quartiermeister Jahresausklang Berlin
11. Dezember 2024: „Sozialunternehmerisch Denken“ – Viertelladen Düsseldorf
12. Dezember 2024: „Bewegung im Block – Klasse, Engagement und Wandel in Leipzig Grünau“ – Nebenan
Der regionale Fördernewsletter von Quartiermeister: https://quartiermeister.org/newsletter-projekte-und-foerderungen/