Mit Lizzy Wazinski, Geschäftsführerin von filia.die frauenstiftung
Wie sieht es aus, wenn eine Stiftung mit Partizipation ernst macht? Lizzy Wazinski, Geschäftsführerin von filia.die frauenstiftung, teilte beeindruckend offen und ehrlich die Erfahrungen aus ihrer Stiftungsarbeit.
filia.die frauenstiftung wurde vor 23 Jahren als Gemeinschaftsstiftung gegründet und fördert Projekte von und für Frauen, Mädchen und LBTIQ+, die strukturellen Wandel zum Ziel haben – in Mittel- und Osteuropa sowie in Deutschland. Ursprünglich von neun Gründerinnen ins Leben gerufen, um Frauenbewegung und Stiftungsarbeit zusammenzubringen, zählt die Stiftung heute über 80 Stifterinnen. filia arbeitet eng mit Beirät*innen zusammen, die als Expert*innen die Stiftung beraten und in den einzelnen Programmen auch Förderentscheidungen treffen.
Im Fokus der Diskussion stand die Zusammenarbeit von filia mit dem Beirat bzw. den Beirät*innen des Empowerment-Programms Frauen und Flucht, dem filia-Programm für migrantische und geflüchtete FLINTA (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen). Ihre Erfahrungen auf den Prozess der Machtabgabe haben die Beirät*innen selbst im Bericht „Empowerment zwischen Theorie und Praxis“ festgehalten.
#2 Zuhören: Machtabgabe ist mit Ängsten verbunden – auf beiden Seiten
Im Februar 2023 entschloss sich filia, die finale Entscheidung über Förderanträge im Empowerment-Programm vollständig an die Beirät*innen zu übertragen; sowohl, was Handlungsmacht als auch Verantwortung betrifft. Davor wurden die Förderentscheidungen von den filia-Beirät*innen jeweils vorbereitet, aber letztlich vom Stiftungsrat entschieden. So blieb die endgültige Entscheidungsmacht trotz der intensiven Arbeit des Beirats weiterhin bei den Stiftungsrät*innen.
Beirät*innen, Stiftungsrät*innen und Mitarbeiter*innen entschieden sich dann gemeinsam für eine Governance-Änderung. Lizzy Wazinksi schilderte offen die Herausforderungen und Unsicherheiten, die mit dieser Machtabgabe einhergingen. Denn in der Diskussion wurde sehr deutlich, dass nur diejenigen, die die Macht haben, auch über deren Abgabe entscheiden können – und auch dies nicht einfach ist: „filia war auch verunsichert. Was ist Macht abgeben eigentlich genau? Und aus Angst, etwas falsch zu machen, haben wir sehr viel Macht auf einmal abgegeben“, erzählte Lizzy Wazinksi. Für filia zeigte sich während des Prozesses und im Rückblick dann aber, dass es zentral ist, die Machtabgabe transparent auszuhandeln und dabei auch eigene Standpunkte klar zu vertreten.
Genauso wie auf Seiten der Stiftung war dieser Prozess auch auf Seiten der Beirät*innen mit Ängsten und Emotionen verbunden. Die Beirät*innen schreiben in der Publikation: „Zunächst überlagerten Ängste den Entschluss, über unsere Kämpfe innerhalb der Arbeitsdynamik von filia, über unsere Sorgen und Hoffnungen offen zu sprechen. Es war die Angst, nicht ernst genommen zu werden, zum Schweigen gebracht zu werden, Sorge davor, den Zugang wieder zu verlieren, um den wir so lange gekämpft haben“ (Ahmed 2023: S. 6).
Entscheidend in diesem Prozess war die Unterstützung durch eine externe Moderation, die sich mit machkritischen Organisationsentwicklungsprozessen auskennt und ein entsprechendes Diskussionsdesign aufsetzen konnte, um den Prozess des Zuhörens und Entscheidens zu begleiten.
#3 Partizipation: Das Ehrenamt ist immer noch ein Privileg – und Partizipation kostet Geld
Die Öffnung für Kritik und das Verlassen der eigenen Komfortzone sind essenziell für filia; und gerade, wenn eine Hierarchie in der Satzung verankert ist, braucht es aktive Arbeit zur Veränderung. Dies zeigt sich auch in vermeintlichen Kleinigkeiten, z.B. darin, dass Beirät*innen früher nicht automatisch zur Stifter*innen-Versammlung eingeladen wurden – eine Praxis, die inzwischen korrigiert ist. Ebenso wurde erkannt, dass Vorstand und Stiftungsrät*innen zwar ehrenamtlich arbeiten, dass es für Menschen, die mehrfach marginalisierte Gruppen angehören, jedoch ungleich schwieriger sein kann, sich unentgeltlich zu engagieren. Partizipation kostet Geld, und neben der professionellen Moderation ist auch Zweisprachigkeit notwendig, um einen gleichwertigen und respektvollen Dialog mit FLINTA mit Fluchtgeschichte zu gewährleisten. Wie ernst man es wirklich mit der Partizipation meint, zeigt sich darin, wie viel Geld, Zeit und Arbeit in wirkliche Inklusion gesteckt wird: „Das Diskussionsdesign erfordert viel Arbeit. Und das kostet Geld. Das gleiche gilt für die Beiratssitzungen. Und es ist nicht nicht fair, Menschen erst reinzuholen und dann wieder herauszukomplimentieren, wenn das Geld fehlt. Deswegen ist es unabdingbar, sich ganz am Anfang von Partizipationsprozessen zu überlegen, wie viel Geld man zur Verfügung hat und wie lange es reichen wird.“, so Lizzy Wazinski.
#4 Transparenz & Fehlerkultur: Vorwärts gehen und aus Fehlern lernen
Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll, wie filia sich der Herausforderung stellt, Macht zu teilen und abzugeben. Dieser Prozess ist für alle mit Emotionen und Unsicherheiten verbunden, Kritik muss offen angenommen werden können. Zentral ist jedoch der Mut, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen, fasst Lizzy Wazinski in ihrem Fazit zusammen: „Fehlerfreundlichkeit ist sehr wichtig in diesen Prozessen. Wenn andere dich darauf hinweisen, dass du Fehler gemacht hast, versuche nicht gekränkt zu sein, sondern zu schauen, was die Stiftung daraus lernen und besser machen kann.“
Publikation:
Ahmed, Najwa (2023). Empowerment – Between Theory and Practice. / Empowertment – Zwischen Theorie und Praxis. Hamburg: filia.die frauenstiftung. Download.
Moderationsempfehlungen:
Empfehlungen für Moderator*innen machtkritischer Moderationsprozesse können über #VertrauenMachtWirkung angefragt werden.